Feuer, Wasser, Erde, Luft

Über mehr als 2000 Jahre ist die Natur im Lichte der Lehre von den vier Elementen  – Feuer, Wasser, Erde, Luft – wahrgenommen worden. Die Elementenlehre bot als Ordnungsmuster Orientierungshilfe in den verschiedenen Lebensbereichen. Sie war von prägender Kraft für unsere Kultur- bzw. Kunstgeschichte und Sprache, insbesondere der Sprache der Gefühle. So reden wir heute noch vom Feuer der Leidenschaft, vom steinernen Herzen und von Gefühlskälte, vom Tränenstrom und von flüchtigen Gedanken.

Schulkalender 2009

Die naturphilosophische Lehre von den vier Elementen geht auf Empedokles (5. Jh. v. Chr.) zurück. Von ihm stammt der Begriff „Element“. Er nennt Feuer, Erde, Wasser, Luft die „vier Wurzeln aller (konkreten) Dinge“ im Kosmos, die durch Trennung und Vermischung entstehen. Nach Aristoteles (4. Jh. v. Chr.) verbindet sich die Urmaterie mit den vier Qualitäten Trockenheit, Feuchtigkeit, Kälte und Wärme.

Mit Hippokrates entwickelte sich die elementische Medizin, d.h. die Lehre von den vier Körper-Säften, die in späteren Jahrhunderten zu einer Vier-Temperamenten-Lehre (Sanguiniker, Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker) ausgebildet wurde. Das Deckblatt des Kalenders („Vier Temperamente“) und das Wandbild „Gemischte Charaktere“ (Abb. März) verweisen im Titel auf diese Lehre, in der sich ein Bestreben zeigt, naturphilosophische Elementenlehre und medizinische Säftelehre in einen systematischen Zusammenhang zu bringen.

Entsprechend der Vierzahlschematik blieben die folgenden Zuordnungen für Jahrhunderte maßgebend:

Elemente Eigenschaften Säfte Temperamente
Luft warm-feucht Blut Sanguis
Feuer warm-trocken gelbe Galle Cholera
Erde kalt-trocken schwarze Galle Melancholie
Wasser kalt-feucht Schleim Phlegma

In unserer Lebenswelt spielt die Rede von den Elementen immer noch eine Rolle. Wir erkennen diese Elemente immer noch an, nur reiht man sie heute unter die vier Materialzustände ein, d.h. als fest, gasförmig, flüssig und als Strahlung.
Die Lehrbücher der Chemie erklären, dass Luft eine Mischung aus Gasen ist: darunter 21% Sauerstoff, 1% Argon usw.  Aber dies ist nur die objektive, wissenschaftliche Perspektive. In unserer subjektiven Lebenserfahrung ist Luft der Wind, der die Blätter in den Bäumen bewegt, in der religiösen Sprache eine Manifestation des Geistes; denn in der Kulturgeschichte wird die Luft nicht nur als Wind angesehen, sondern auch als Atem und Geist, der – wie es z. B. in der Bibel (Genesis) heißt – Adam von Gott eingehaucht wurde. Das griechische Wort für „Geist“ heißt pneuma und kann sowohl Atem, Wind als auch Luft bedeuten. Und wenn wir sagen, dass jemand frischen Wind hineinbringt, dann meinen wir, dass er gute Ideen, neue (geistige) Einfälle hat.

Alle Elemente haben diese lebensweltlichen, religiösen, spirituellen, mythischen, symbolischen, metaphorischen Dimensionen. Wir wissen, dass jedes der vier Elemente seine eigene Qualität hat:
FEUER taugt nicht nur zum Heizen, was – wie der Chemiker sagen würde – die Verbrennung einer Kombination von chemischen Elementen mit Sauerstoff einschließt, wobei Energie in Form von Wärme freigesetzt wird. Das Feuer zeigt sich im religiösen Kontext in den Flammen des Hl. Geistes zu Pfingsten und steht symbolisch z.B. für Gott im brennenden Dornbusch. Es findet sich auch in der mythischen Vorstellung des Urfeuers, aus dem der ganze Kosmos hervorgegangen sein soll.
WASSER ist nicht bloß H2O, eine Flüssigkeit mit geringer Viskosität. Es ist die Substanz, aus denen die Meere und 90% unseres Körpers bestehen. Es ist das reinigende Element in den Initiationsriten, z.B. in der Taufe. Es ist das Wasser des Lebens in den Seen, Flüssen, Bächen, Quellen und Brunnen. Deshalb gilt Brunnenvergiftung seit alters her als großes Verbrechen. Und deshalb nennen wir noch heute große Unruhestifter und Kriegshetzer bildhaft “Brunnenvergifter”.
ERDE ist nicht bloß Dreck, sondern der Boden auf dem und von dem wir leben. Wir sind – um es metaphorisch zu sagen – mit der Erde, mit Mutter Natur (natura = lat. Geburt) verwurzelt. Und wir sprechen positiv von dem, der bodenständig geblieben ist, der den Boden unter seinen Füßen nicht verloren hat und mit beiden Beinen auf der Erde steht.
LUFT ist eben nicht nur ein Gas, das sich aus einer Mischung von Molekülen aufbaut. Es ist etwas, das uns zu dem gesamten Leben des Planeten in Beziehung bringt. Der ganze Planet hat eine einzige Atmosphäre. Wir alle atmen dieselbe Luft. Sie steht uns übrigens als einziges Element kostenlos zu Verfügung. Indem wir Luft atmen, treten wir mit all dem anderen Leben in Verbindung.

Wir sollten ein Gespür für unsere Verbindung mit der Natur und ein Bewusstsein von der Schönheit und Gefährdung der Natur entwickeln. Die auf den Kalenderblättern abgebildeten Schülerarbeiten zeigen die Schönheit der Natur in der künstlerischen Auseinandersetzung mit ihr und den vier Elementen in verschiedenen Techniken und Malstilen:
Symboltier für das Element Feuer ist der Feuersalamander (Abb. Juli). Auch die  Bilder zum Thema „In der Sonnenglut Afrikas“ (Abb. September) und „Vulkanausbruch“ (Abb. Juni) sind dem Grundelement Feuer zuzuordnen. Fische stehen für das Element Wasser (Abb. Januar, April). Das Element Erde wird in den Bildern „Frucht der Erde“ (Abb. Oktober) und „Tiermuster“ (Abb. November) vertreten. Ein Vogel (Abb. Februar), Heißluftballons (Abb. Mai), Strandsegler (Abb. August) und „Wolkenpferde“ (Abb. Dezember) repräsentieren das Element Luft.
Die mit der Naturwissenschaft und Technik einhergehende Entzauberung der Natur darf nicht zur Zerstörung der Natur und unserer Lebensgrundlage führen. Wir können das Feuer, die Erde, das Wasser, die Luft sinnvoll nutzen, müssen aber lernen, sorgsam mit den Elementen umzugehen.

Vinzenz Becher

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