Behutsam und unaufgeregt, als wäre es ein alltäglicher Handgriff, drehen Caroline und Esra das Wattestäbchen in ihrem leicht geöffneten Mund hin und her. Ihr Blick fällt dabei immer wieder auf ihr Handy, wo der Countdown von einer Minute herunterläuft. Nachdem die rechte Wangenseite erfolgreich „bearbeitet“ wurde, müssen sie einen kleinen Moment warten und den Abstrich durch Hin- und Herwedeln an der Luft etwas trocknen lassen, ehe sie mit einem weiteren Stäbchen an der anderen Seite wieder beginnen dürfen. Insgesamt drei Mal durchlaufen die beiden 18-jährigen Schülerinnen dabei das Prozedere, bevor sie die Ergebnisse in einen kleinen Umschlag packen und in der dafür vorgesehenen Box am Ausgang der Aula abgeben. Nicht einmal fünf Minuten hat das Ganze gedauert – aber vielleicht haben die beiden damit schon den ersten Schritt zur Lebensretterin getan.

Denn was an diesem Mittwochmorgen am Städtischen Gymnasium in Bad Laasphe (Gymbala) auf den ersten Blick aussieht wie ein Corona-Massentest, erweist sich bei näherem Hinsehen als groß angelegte Registrierungsaktion für die DKMS (ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei). Es ist nach 2018 und 2020 bereits die dritte Veranstaltung dieser Art, die an der Schule stattfindet, erläutert Sven Sendfeld. Der Lehrer für Erdkunde und Mathematik zeichnet gemeinsam mit Schulleiterin Corie Hahn federführend für die Durchführung verantwortlich und berichtet erfreut, dass es bereits drei Fälle gegeben hat, in denen ehemalige Schülerinnen und Schüler des Gymbala erfolgreich Knochenmark gespendet haben (SZ berichtete). Ihm selbst sei durch den Fall eines ehemaligen Mitschülers die ganze Dramatik einer Blutkrebs-Diagnose vor Augen geführt worden. Auf Facebook habe dieser seine Leukämie-Erkrankung öffentlich gemacht. „Vier Wochen später habe ich die Todesanzeige gelesen“, sagt Sven Sendfeld immer noch sichtlich angefasst. Auch in seinem direkten Umfeld sei er mit einem weiteren Fall konfrontiert worden. „Da muss man schon dreimal schlucken“, so der Lehrer, der daraufhin entschied, sich für die DKMS-Aufklärung an seiner Schule stark zu machen.

Genau das haben sich Werkstudent Henri Leinfelder und Volunteer Anna Sondermann an diesem Morgen auf die Fahnen geschrieben. Die beiden Mittzwanziger sind selbst Knochenmarkspender und wollen die Schülerinnen und Schüler in der voll besetzten Aula des Gymbala nicht nur über Blutkrebs und Stammzellenspende aufklären, sondern auch möglichst viele für die anschließende Registrierung in der Datenbank der DKMS gewinnen. „Gerade die jungen Menschen in diesem Alter gehören zur bevorzugten Zielgruppe, da sie häufig gesundheitlich und körperlich die besten Voraussetzungen für eine Stammzellenspende mitbringen“, erläutert Henri Leinenweber. Wobei er den Begriff „bevorzugt“ gleich einschränkt – denn grundsätzlich kann sich zunächst einmal jeder zwischen 17 und 55 Jahren registrieren lassen. Wichtig sei aber, dass keine Auto-Immun-Erkrankungen oder ähnliche Krankheiten vorliegen, zudem dürfe der Body-Mass-Index (also Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Meter zum Quadrat) nicht über 40 liegen.

Der Vortrag selbst ist dann neben Hintergrundinformationen zur schockierenden Diagnose, zum Krankheitsbild und dem Ablauf einer Stammzellenspende an sich gespickt mit beschwichtigenden Erläuterungen und mutmachenden Appellen, die auf den eigenen Erfahrungen der beiden Referenten beruhen. „Blutkrebs ist keine Diagnose ohne Ausweg“, verdeutlicht Henri Leinfelder. Die Suche nach einem passenden genetischen Zwilling gleiche zwar der nach der Nadel im Heuhaufen, eine daraus folgende Stammzellentransplantation sei aber oftmals die letzte Rettung für die Betroffenen. Er selbst hat mit der in 90 Prozent aller Fälle angewendeten „peripheren“ Stammzellenspende (also Entnahme aus dem Blut) einer Mitdreißigerin aus Deutschland das Leben geschenkt und sich dabei „wie ein König“ gefühlt. Auch Anna Sondermann, die mit der eher seltenen Knochenmarkentnahme aus dem Becken einem kleinen Jungen in Chile das Leben gerettet hat, ist sichtlich bemüht, die Hemmschwelle bei den Anwesenden zu senken. „Der Schmerz danach ist nur temporär und nicht größer als bei einer Prellung“, sagt die 24-Jährige.

Ihre Worte finden offenbar Gehör. Denn am Ende stellen die beiden DKMS-Vertreter erfreut fest, dass ihr Mindestziel von einem Drittel Registrierungen (in diesem Fall knapp 33) erreicht wurde. Es sind Mädchen wie Caroline und Esra, die Menschen in der ganzen Welt hoffen lassen. „Für mich war schon vorher klar, dass ich mich registrieren lasse“, erklärt Caroline Kuhly. Ihre Mutter sei bei der Blutspende aktiv und habe sie erst neulich auf die DKMS aufmerksam gemacht. Esra Toprak hingegen hat sich vor allem durch den Vortrag in der Aula dazu entschlossen, in die Spenderdatei aufgenommen zu werden. In einem aber sind sich die beiden Schülerinnen der zwölften Klasse einig: Bangemachen gilt nicht. Auch nicht vor dem möglichen Eingriff: „Die Aussicht darauf, vielleicht ein anderes Leben retten zu können, verdrängt auf jeden Fall die Angst vor dem eigenen Schmerz.“

Quelle: Siegener Zeitung vom 03.11.2022